16. Triennale der Kleinplastik, Fellbach

Mein Lieblingsstück auf der diesjährigen Triennale? Üblicherweise verweigere ich die Antwort auf derart ausschließende Fragen. Wieso bis auf eine Sache alles andere deklassieren? Hier will ich aber eine Ausnahme machen, denn die Veranstalter loben einen Publikumspreis aus. Mag sein, dass auf diese Art der Massengeschmack gewinnt, ein vielleicht eher gefälliges Werk. Nun, man wird es sehen.

Da mir die Art und Weise der Frage aber eben dennoch missfällt, will ich mich der Antwort langsam annähern. In Frage käme bei mir dieser Quadratmeter gelb-braun-orange gefärbter Boden. WTF? Das ist die Ansicht genau dieser Koordinaten in Google Earth. Das Werk verweigert sich der üblichen Vorstellung von einer Skulptur. Statt der erwarteten Dreidimensionalität spannt sie eine zweidimensionale Fläche auf. Ja, sie verliert sogar noch mehr an Materialität, wenn man bedenkt dass dieses Weltbild-Fragment sonst nur virtuell als Pixelgruppe auf einem Bildschirm dargestellt wird.

Gleichzeitig lässt sich das Werk kaum betrachten, ohne die schier unendliche bis in den Weltraum ragende Säule mit zu denken, die zwischen ihr und dem Künstler, genauer:  dem fotografierenden Automaten, dem Satelliten, aufspannt. Und da ist sie dann eben doch wieder: die Dreidimensionalität – wenn auch nicht die einer „Kleinplastik“.

Dieser Abstand zwischen dem dargestellten Gegenstand und demjenigen der ihnen künstlerisch aufnimmt ist der technisch derzeit fast weitest mögliche.

Doch was sieht man denn da eigentlich auf dem Boden? Es ist das Dach der Alten Kelter. Genau die Stelle über der Fläche auf dem Boden. Denn etwas anderes sieht Google Earth ja nicht. Das Kunstwerk zeigt nur Oberfläche, ist nur Oberfläche. Die Künstlerin dringt nicht in die Tiefe vor. Wir, die Kunstbesucher die unter dem Kunstwerk herum wuseln, wir sind nicht zu sehen.

Gute Idee! Auch stark der Ansatz der Boden- und Wühlkunstwerke. Hier dringt die Künstlerin tief unter die Oberfläche. Sie dringt vor in Unsichtbares weit unter der Erdoberfläche in Bereiche, die wir im Allgemeinen nicht zu sehen bekommen. Sie gießt die Bauten von Maulwürfen, Füchsen, Dachsen mit Gips aus und stellt diesen Guss aus. Wir sehen also den den Fluchtraum und den Lebensraum dieser Tiere in seiner pervertierten, disfunktionalen, nicht mehr nutzbaren Form. Die Infrastruktur des Unterirdischen wird sichtbar, ihre Transportwege und ihre Höhlen, die sich wie Adern und Organe unter der Erde ausbreiten.

Maulwurf und Konsorten werden so zu Künstlern. Hätte die Künstlerin nicht mit Gips sondern beispielsweise mit Wachs gearbeitet. Dann könnte sie einen zweiten Gussvorgang durchführen und mit verlorene Form arbeiten. Gevatter Dachs hätte dann seine Wohnung zurück. Wäre das eine Beitrag zur Arterhaltungsprogrammen? Eine künstlich geschaffene Ökoidylle?

Auf jeden Fall idyllischer, als der postapokalyptische Spießer-Horror aus Steingartens mit Gabionenmauer. Etwas, was sich vor allem in der naturnahen (!) Wohngebieten breit macht. Mit Baumarkt-Material – Stichwort ready made – sprengt die Künstlerin das Format der Kleinplastik. Und zeigt grauen Stein gewordene Lebensverachtung. Getoppt wird das ganze durch eine Klienplastik, eine silbern glänzend Hand mit zu vielen Fingern, die sich wie eine falsche Schwurhand auf einem der Steingefängnisse gen Himmel reckt. Eine Hand mit zu vielen Fingern, von einer KI entworfen und so in einem AfD-Spot verwendet. Von den Spezialisten der vergewaltigten Wirklichkeit.

Ckearly: drei preiswürdige Werke. Doch mein eigentlicher Favorit spielt eine ganze Liga höher!

Wo anfangen? Das Werk, so wie es in Fellbach zu sehen ist, ist eher Konzeptkunst. Denn nur eine kleine Replik steht hier im von Umwelteinflüssen unberührten Ausstellungsraum. Ein Video und eine Texttafel erklären die Idee. In Echt steht das Werk in München und dort gleich dreimal. Raum fordernd steht es dort im öffentlichen Raum genauso Raum fordernd wie sein Original. Denn wie sich das für eine Skulptur gehört, bildet sie etwas anderes ab und überhöht es künstlerisch.

Um was geht es denn nun? Es geht um drei SUVs. Geformt aus Lehm und Wolle, die in Originalgröße seit Herbst 2024 auf öffentlichen Plätzen vor sich hin rotten. Wind und Wetter, Regen und Schnee setzen den Werken zu. Sie verlieren ihre klar konturierte Form, sacken in sich zusammen. Skulpturen – Kunstwerke also, die von ihrer Form und Beständigkeit leben – verlieren ihre Form und sind unbeständig. Ihre Bestimmung: sich auflösen.

Nach einem Jahr Verrottung werden die drei Werke – ihre Reste – auf einer Prozession zur IAA, zur Internationalen Automobilausstellung, gebracht. Super Idee! Ist eine Prozession doch ein soziales Kunstwerk, eine sich bewegende soziale Skulptur. Gleich mehrfach verweigert sich die Künsterlin der gewöhnlichen Vorstellung, was eine Kleinplastik zu sein hat. Nun könnte man bösartig sagen, dass dieses Werk dann vielleicht auf einer Triennale für Kleinplastiken nichts zu suchen hat? Quatsch, kann gar nicht sein. Dann wäre ja mein Lieblingsexponat gar nicht hier!#

Wunsch und Wirklichkeit treffen in diesem Werk aufeinander. Der Wunsch, der Pkw-Fetisch möge vergehen, der davon blockierte Raum in den Städten wieder frei werden für Menschen. So könnte das gemein sein, so jedenfalls verstehe ich das. Und – hey! – mal ehrlich: eine große Utopie in einer Skulptur das ist doch einen Preis wert!

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Eine Mutter steht mit ihrer vielleicht 12jährigen Tochter vor einem Regal mit Dutzenden von Eierkartons, Hunderten von Hühnereiern. Fasziniert starrt ihre Tochter auf einen kleinen unscheinbaren Stapel durchsichtiger Plastikboxen, die auf ihrer Augenhöhe im Regal gestapelt sind. Darin: Wachteleier in ihrer typischen Musterung. Die Tochter ruft erstaunt: „Oh, sind die von echten Vögeln?“